Page 8 - Ebook-TragendeGrund
P. 8
Carlo, ein italienischer Junge, kam zu mir in den Unterricht, und er
sprühte vor Musikalität, in seinen Augen, seiner Lebendigkeit, wie er an
Situationen heranging. Unser erstes Zusammentreffen, unvergesslich:
<Guten Tag, darf ich Ihnen du sagen?> So war vom ersten Tag an die
Freundschaft besiegelt, und doch wurde es ein sehr mühevolles Jahr zu-
sammen. Sobald ich ihm, mit Methode und Geduld, das Spielen beibrin-
gen wollte, wurden seine Augen glasig und es schien ihm alles andere als
wohl, kaum liess ich ab von der ‘Methode‘, war sein Sprudeln zurück.
So ging die Zeit dahin, ich versuchte ihn zu ermutigen, fragte nach,
wie viel er zu Hause übe. Wie aus der Pistole geschossen kam seine Ant-
wort: <Mindestens eine halbe Stunde jeden Tag, ehrlich!> Als ich ihm
dann erklärte, es könne ja manchmal auch Gründe geben, dass es gar
nicht geht, zu Hause zu üben; dies sei der Grund meiner Nachfrage. Je
nachdem würde ich dann den Unterricht anders gestalten; wenn es zu
Hause nicht ginge, würden wir zusammen in der Stunde eben gemein-
sam üben. Sein Seufzer der Erleichterung war deutlich hörbar.
Nach neun Monaten dachte ich, dies hat keinen Sinn, seine Ver-
krampfung hatte sich nicht gelöst, und ich wollte aufgeben, nach diesem
letzten Versuch: Was könnte ihm wohl spontan gefallen, ohne Methode,
einfach so? Italia - Celentanos ‘Azzurro‘, ja klar. So lernte und arrangierte
ich das Lied für Carlo, es war viel schwieriger als das, was wir zuvor getan
hatten. Seine Überraschung war gross, als ich ihm sagte: <Kein Buch heu-
te, hör einfach zu, und wenn es dir gefällt, können wir es lernen>. Kaum
hatte ich begonnen, schienen seine Ohren dreimal so gross zu werden,
staunend packte er die Gitarre und sagte: <Zeig‘s mir!> und nach zehn
Minuten spielte er es, alles war da, was ich immer gespürt hatte bei ihm!
Wunderbar.
Natürlich klopfte ich mir innerlich auf die Schulter, dass ich trotz den
Schwierigkeiten an seine Fähigkeiten geglaubt hatte, bis zum nächsten
Mittwoch! Das Unterrichtszimmer war in einem kleinen Wohnturm im
dritten Stock, und ich wartete auf Carlo.
8