Page 9 - Ebook-TragendeGrund
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Da polterte es auf der Treppe, man hörte ein leises Fluchen, und die
Tür ging mit einem Knall auf. Plötzlich stand er da, mitten im Zimmer,
ausser Atem, und all seine Glieder schienen in verschiedene Richtungen
davonrennen zu wollen. Er stellte die Gitarre hin, sie fiel um, er stellte sie
auf, der Stuhl fiel um, er stellte ihn auf, der Notenständer fiel um, er stell-
te ihn auf, völlig durch den Wind, der Junge.
Ich wollte ihm Zeit geben, spielte etwas und liess ihn zu Atem kom-
men. Nach fünf Minuten wurde er ruhiger. Da fragte ich: <Was ist denn
los?> Ein ängstlicher Blick - doch Carlo sah keine Gefahr, so kam es her-
vor, Stück für Stück, die Treppe hinaufgefallen sei er! Warum? Weil er
Krach gehabt habe mit seinem Freund. Warum? Weil der Lehrer ihm
eine schlechtere Note gegeben hätte. Warum? Weil es eben nicht gut
sei, mit schlechten Noten nach Hause zu kommen, deshalb der Krach
mit dem Freund. Und weshalb dann das ganze Innere im Alarmzustand?
Dies müsste ruhig sein, um Musik machen zu können! Eine Minute Stille,
dann wurde Carlo bleich und sagte: <Das kann ich dir nicht sagen>.
Es war eine seltsame Stille, die plötzlich im Raum lag, erleichtert und
traurig zugleich, wie wenn der Raum mithören würde. Ich spielte eine
Melodie und wollte ihm nicht zeigen, wie betroffen er mich gemacht
hatte. Nach weiteren fünf Minuten begann er zu drucksen, rutschte
auf dem Stuhl hin und her und sagte: <Ich glaub ich sag‘s dir doch. Es ist
eben wegen zu Hause. Mein Vater ist Lastwagenchauffeur und fährt in
ganz Europa herum, und ich möchte Mechaniker werden, ich glaube, das
könnte ich gut. Aber meine Mutter sagt, ich solle ins Gymi, und die Prü-
fungen sind schon bald>. Und dann, mit Vehemenz: <Aber ich weiss, dass
es nicht gut gehen wird, da bin ich immer der schlechteste, und es macht
mir Angst. Doch die Mutter sagt, wenn ich die Gymi-Prüfung nicht be-
stehe, kann ich nicht mehr Fussball spielen, keine Gitarre mehr, kein Velo
mehr!> und dann schluchzte er los.
Während dieser Stunde spielten wir keine einzige Note, und doch
war es, als wenn Musik durch den Raum schwebte. Wir sprachen lang
zusammen, erwogen dies und das.
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