Page 106 - Ebook-TragendeGrund
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es ‘Aussenteam‘, das ganz gut funktionierte. Doch ermunterten wir die
früheren Gäste des Jugendcafés auch, das Café wieder aufzusuchen und
eine Brücke zu bilden für all jene, die sich nirgends mehr blicken liessen.
Wir erinnerten sie daran, dass sie den Inhalt des Jugendcafés geformt
hatten! So war es immer noch!
‹Sterben ist dies: Ein Kind kommt zu seiner Mutter und bittet sie,
ihm eine Frucht, eine Süssigkeit oder sonst etwas Gutes zu geben,
das die Mutter selber gern gehabt hätte. Sie gibt es dem Kind und
freut sich am Essen des Kindes. Dies ist eine Art Tod. Sie freut sich
im Leben über die Freude anderer. Wer sich über die Freude ande-
rer freuen kann, auch bei eigenem Verzicht, hat einen Schritt zum
wahren Leben getan. Wenn es uns gefällt, einem anderen ein gutes
Kleidungsstück zu schenken, das wir selber gerne getragen hätten;
wenn uns dies freut, dann sind wir beim ersten Schritt.
Wenn wir uns an etwas Schönem so tief erfreuen, dass wir es
gerne besitzen möchten, und dann diese Freude einem anderen
schenken und uns an seiner Erfahrung freuen, sind wir tot. Dies ist
unser Tod, und doch sind wir lebendiger als der andere. Unser Leben
wird viel weiter, tiefer, grösser.›
Annys physische Stabilität nahm rapide ab, manchmal litt sie ganz
akute Atemnot, und meine ‘inneren Antennen‘ waren oft darauf aus-
gerichtet, zu spüren, wie es ihr wohl ginge. Eines Tages hatte ich ein drin-
gendes Gefühl, dass ich sie anrufen sollte, und tat es am Abend auch. Am
anderen Ende war zuerst nur ein Weinen zu hören, dann eine Stimme,
auf die sich eine dunkle Wolke der Trauer gelegt hatte.
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