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Anny war sich bewusst, dass er nur die Wahrheit sagte, doch tönte
         er wie ein böses Omen, dem sie sich nicht entziehen konnte. An diesem
         Sonntag konnte sie das erste Mal darüber sprechen: <Weißt du, Robert
         hat ja recht, und dass er es so gesagt hat, wie es aus ihm herauskam, war
         ja mehr als verständlich, ich kenne ihn seit so vielen Jahren. Aber seine
         Worte wurden zu einer Überlebensfrage für mich, in meinem Innern,
         erst jetzt merke ich, dass ich ihm eigentlich dankbar sein kann, er machte
         mir den kritischen Punkt klar. Wie viel habe ich doch von all den Jungen
         lernen können!

            Natürlich bin ich ein Krüppel, wenn man es so betrachten will, doch
         es gibt noch ein Werk zu vollbringen, und da sind so viele Dinge in dem,
         was dieser Sufi sagt; ich denke, er hätte ganz gut ins Jugendcafé gepasst!>


                                      
            Liebe Freunde, heute ist Viladat Day, der Geburtstag von Hazrat In-
         ayat Khan. Wie Ihr sicher schon gespürt habt, habe ich nicht mehr so viel
         zu erzählen über Anny; wir näherten uns dem letzten Abschnitt unserer
         gemeinsamen Reise, insgesamt waren es fast zehn Jahre, die Anny in ih-
         rer Wohnung in Oerlikon lebte. Nur ein einziges Mal, als ein paar Freunde
         zu Besuch kamen, getraute sie sich, an ihrem Arm um das Haus zu gehen,
         an die frische Luft. Doch nach halber Strecke bekam sie Atemnot und
         war froh, es wieder zurück geschafft zu haben.


            Ihre Wohnung war geräumig und liebevoll eingerichtet, hatte einen
         grossen Balkon, und sie war rundum zufrieden mit ihrem Leben; Mäni
         und Ruth waren ins Wallis gezogen, dafür war ihr Bruder Oswald nach
         Zürich gekommen. Unsere gemeinsamen Sonntage wurden zu einer
         lieb gewordenen Gewohnheit. Von Zeit zu Zeit wollte Anny wissen, was
         ich mit den Sufis erlebte, und was das Lebenswerk von diesem Meister
         beinhaltete. Unser gemeinsames Studium gab ihr die Möglichkeit, ihre
         eigene Arbeit im Jugendcafé nochmals zu überprüfen.





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