Page 30 - Ebook-TragendeGrund
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eiNfach das Beste geBeN
Ich bin gerade von einem Bummel durch die Altstadt zurück, so viele
Erinnerungen werden wieder lebendig. Heute Morgen um vier Uhr war
ich plötzlich wach und erinnerte mich daran, dass Anna Burger einmal
ein Radiointerview gegeben hatte, und dass in meinem Archiv noch ir-
gendwo eine Kassette mit der Aufnahme liegt! Sie liegt schon zwanzig
Jahre da!
Wir hatten alle keine Lösung, versuchten gemeinsam, die Ziele und
Inhalte neu zu formulieren, doch waren die Welten zu unterschiedlich.
Uns blieb nichts anderes, als einfach das zu tun, was vor uns lag, die Be-
dürfnisse der Gäste, die alltäglichen Dinge, und das Beste war manchmal
genug, manchmal überhaupt nicht, und ich lernte etwas kennen, was
man fast nicht in Worte fassen kann - ‘aktive Resignation‘ - versteht Ihr
ein solch kurioses Wort?
Irgendwie beschreibt es, wie wir arbeiteten. Ich filterte die Umstände
aus, die offensichtlich nicht so optimal waren, und stellte mir einfach vor,
dass unsere Abmachung bei der Anstellung (Dein ganzes Ja zu meinem
ganzen Ja) uns die bestmöglichen Bedingungen für diese Arbeit gaben.
Anny reagierte aus Gründen, die mir noch nicht einfühlbar waren,
sehr intensiv auf Dinge, bei denen andere höchsten mit den Schulter
zucken - wie zum Beispiel Menschen, die nicht unterscheiden konnten
zwischen ‘betteln und beten‘, wie sie dies jeweils beschrieb (ich habe die
Kassette wiedergefunden). Diese Intensität hatte offensichtlich damit zu
tun, dass ich Anny als viel lebendiger empfand als die meisten Menschen,
die ich zuvor kennengelernt hatte. Ihre Fähigkeit, sich ‘sekundär zu ma-
chen‘, und den Standpunkt eines anderen Menschen auf eine Weise zu
sehen und mitzufühlen, ‘in den Fussstapfen des anderen zu gehen‘, wie
sie es auch gerne bezeichnete, war eine Fähigkeit, die mir bis anhin unbe-
kannt gewesen war.
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