Page 34 - Ebook-TragendeGrund
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macheN sie sich Noch eiN schöNes Jahr
Eines Abends fragte ich Anny: <Wie hat sich all diese Arbeit hier
so ergeben, wie sie nun ist? Dies würde mich wirklich interessieren; sie
entstand ja in einer Zeit, in der ich mit ganz anderen Dingen beschäftigt
war.> Anny freute sich offensichtlich über meine Frage, und sie antwor-
tete: <Die Jugendlichen haben mich geholt für etwas, was sie brauchten;
geplant war es anders; und ich glaube, wenn wir dies hier hätten planen
wollen, wäre unsere Arbeit so gar nicht möglich geworden. Doch ist dies
eine lange Geschichte, und auch eine sehr persönliche, so komm doch
einfach an einem freien Tag einmal zu mir, ich mache uns einen feinen
Znacht und dann haben wir Zeit zu sprechen>.
Und so lernte ich ihre kleine Dachmansarde im Seefeld kennen; alles
war da, was sie brauchte, in einer winzigen Wohnung, und das Neben-
zimmer hatte einen separaten Eingang. Ich erinnere mich noch sehr ge-
nau an diesen Abend; es war der Beginn eines neuen Abschnittes in un-
serer Arbeit, und so erzähle ich euch die Geschichte so, wie sie mir Anny
an jenem Abend, nach einem feinen Braten mit Kartoffelstock erzählte.
<Eigentlich liegt der Anfang der heutigen Arbeit bei der Diagnose ei-
nes Arztes, der mir klarmachte, dass ich all die Dinge, die ich bisher getan
hatte, nicht mehr weiter tun könne> begann Anny. <Ich war Schneiderin
und hatte grosse Freude an meinem Beruf, war selbständig und mach-
te Mode, die ein paar Geschäfte am Limmatquai gerne in ihr Sortiment
aufnahmen. Ich war etwa vierzig Jahre alt, und habe sehr intensiv gelebt,
wie du dir ja gut vorstellen kannst.
Ich hatte Mühe zu atmen und ging einmal zum Hausarzt, um zu seh-
en, was da wirklich war. Dieser wies mich weiter ans Universitätsspital,
um einen genaueren Befund zu erhalten; und so kam es, dass ich eine
Woche später im Besprechungsraum eines Herzspezialisten sass, der mir
erklärte, dass ich ein sogenanntes ‘Panzerherz‘ habe, die Arterien seien
soweit verkalkt, dass nur eine Operation eine gewisse Linderung brin-
gen könnte. Zu jener Zeit gab es fast noch keine Herzoperationen, und
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