Page 35 - Ebook-TragendeGrund
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der Herzspezialist war in der ganzen Schweiz der einzige, der eine solche
Operation überhaupt durchführen konnte.
Er war anfangs sehr vorsichtig und redete um den Brei herum, und
ich dachte mir: <Wenn du noch lange so weiter schwatzt, wirst du mir
allen Mut nehmen, mich dem zu stellen, was du zwischen den Worten
schon gesagt hast>. Und so fragte ich ihn geradeheraus: <Machen Sie‘s
nicht spannend, reden Sie tacheles! Was kommt auf mich zu?> Er setzte
eine ziemlich tragische Miene auf und sagte: <Nun, Frau Burger, um es
offen zu sagen: Wir können die Operation versuchen, die Chancen, dass
Sie diese überleben, liegt bei etwa vierzig Prozent; wir haben noch fast
keine Erfahrungswerte. Und wenn Sie die Operation überleben, machen
Sie sich noch ein schönes Jahr. Etwas anderes kann ich Ihnen nicht sagen>.
<In mir drin sagte es sofort: Denkste!>, erzählte Anny weiter. <Wer
biste denn?> Sie war ins Berlinerische gefallen… <Kurzum, nüchtern be-
trachtet, war es eine niederschmetternde Diagnose, ich wusste, das war
das Ende meiner Arbeit als Schneiderin, ich war selbständig, hatte die
Krankenkasse bezahlt, doch mein Lebensunterhalt war sicher für eine
geraume Zeit dahin, und ob ich dann wieder auf die Beine käme, stand
ja wirklich in den Sternen.
Zu meinem grossen Glück hatte ich eine liebe Freundin; wir waren
viele Jahre durch dick und dünn gegangen miteinander, und sie wohn-
te mit ihrem Mann ganz in der Nähe. Als ich ihr die Neuigkeit brachte,
gab es für sie keinen Augenblick des Zweifels; sie sagte zu ihrem Mann:
<Schau, wir hatten nie Kinder, und jetzt ist unser Zimmer frei geworden
für jemanden, der es wirklich brauchen wird. Gell, wir nehmen Anny auf
bei uns?> Und ihr Mann war ebenso; die beiden wurden zu meinen Le-
bensrettern.
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