Page 40 - Ebook-TragendeGrund
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Es wurde einfacher, da zu sein für die Gäste. Je mehr Anny die Hin-
tergründe erläuterte, weshalb sie so arbeitete, warum die Jugendlichen
ebenso wie die älteren Menschen, die auch zu uns kamen, so grenzen-
loses Vertrauen in sie zu haben schienen, desto präziser wurde meine
Wahrnehmung für unsere Arbeit.
Anny hatte ebenso viel Vertrauen in die Jugendlichen und liess sie
oft Verantwortungen übernehmen, die ihnen sonst niemand anvertraut
hatte. Wenn etwas schief ging, konnte sie den manchmal tragischen
Abstürzen auch eine gute Note abgewinnen - <Fallmaschen muss man
nicht dort zu flicken versuchen, wo sie am meisten auffallen, sondern
dort, wo sie ihren Anfang genommen haben…> war eines ihrer Bilder,
dessen Weisheit jedem sofort einleuchtete.
Weil die Jugendlichen Vertrauen zwischen uns erkannten, gewan-
nen sie ihrerseits an Sicherheit. Sie begannen, Konflikte untereinan-
der gemeinsam zu diskutieren und suchten aktive Lösungen, einzelne
brachten jeweils Kumpels, die auf der ‘Kurve‘ waren, mit. Eine unserer
wesentlichsten Aufgaben war — neben unserer Gastgeberrolle — dass wir
Gespräche vermittelten zwischen den Gästen und den Institutionen, ob
Kliniken, Vormünder, Polizei oder Justiz, den ‘Abgestürzten‘ und ihren
Familien, Eltern und Geschwistern.
Vertrauen war ebenso gewachsen gegenüber den Institutionen, be-
sonders gegenüber der Polizei. Die Beamten gingen sehr respektvoll vor,
wenn jemand ausgeschrieben war und wegen irgendwelchen Vergehen
gesucht wurde. Nie kamen sie ins Café zur Razzia, sondern meldeten
sich immer bei Anny im Büro; die gegenseitige Achtung voreinander war
sehr beeindruckend.
Als ich dies beim gemeinsamen Nachtessen einmal erwähnte, kamen
Anny die Anfänge wieder in den Sinn, und wieder sagte sie: <Die Jugend-
lichen haben mich dahin gestellt, wo und wie sie mich brauchten, und
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