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sich iN die arBeit hiNeiN stelleN lasseN

            Es wurde einfacher, da zu sein für die Gäste. Je mehr Anny die Hin-
         tergründe erläuterte, weshalb sie so arbeitete, warum die Jugendlichen
         ebenso wie die älteren Menschen, die auch zu uns kamen, so grenzen-
         loses Vertrauen in sie zu haben schienen, desto präziser wurde meine
         Wahrnehmung für unsere Arbeit.

            Anny hatte ebenso viel Vertrauen in die Jugendlichen und liess sie
         oft Verantwortungen übernehmen, die ihnen sonst niemand anvertraut
         hatte.  Wenn  etwas  schief  ging,  konnte  sie  den  manchmal  tragischen
         Abstürzen auch eine gute Note abgewinnen - <Fallmaschen muss man
         nicht dort zu flicken versuchen, wo sie am meisten auffallen, sondern
         dort, wo sie ihren Anfang genommen haben…> war eines ihrer Bilder,
         dessen Weisheit jedem sofort einleuchtete.

            Weil die Jugendlichen Vertrauen zwischen uns erkannten, gewan-
         nen  sie  ihrerseits  an  Sicherheit.  Sie  begannen,  Konflikte  untereinan-
         der gemeinsam zu diskutieren und suchten aktive Lösungen, einzelne
         brachten jeweils Kumpels, die auf der ‘Kurve‘ waren, mit. Eine unserer
         wesentlichsten Aufgaben war — neben unserer Gastgeberrolle — dass wir
         Gespräche vermittelten zwischen den Gästen und den Institutionen, ob
         Kliniken, Vormünder, Polizei oder Justiz, den ‘Abgestürzten‘ und ihren
         Familien, Eltern und Geschwistern.

            Vertrauen war ebenso gewachsen gegenüber den Institutionen, be-
         sonders gegenüber der Polizei. Die Beamten gingen sehr respektvoll vor,
         wenn jemand ausgeschrieben war und wegen irgendwelchen Vergehen
         gesucht wurde. Nie kamen sie ins Café zur Razzia, sondern meldeten
         sich immer bei Anny im Büro; die gegenseitige Achtung voreinander war
         sehr beeindruckend.

            Als ich dies beim gemeinsamen Nachtessen einmal erwähnte, kamen
         Anny die Anfänge wieder in den Sinn, und wieder sagte sie: <Die Jugend-
         lichen haben mich dahin gestellt, wo und wie sie mich brauchten, und


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