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Der Herzspezialist war interessiert daran, mich zu operieren, es gab
         ihm dringend benötigte ‘Erfahrungswerte‘. So nüchtern er seine eigenen
         Vorteile betrachtete, gab es mir eine gewisse Sicherheit, er war aus sei-
         nen persönlichen Karriereüberlegungen heraus daran interessiert, eine
         ‘gute Operation‘ zu machen. So würde ich kaum an einen Pfuscher ge-
         raten, und je länger ich überlebte, desto grösser würde sein Prestige. Also
         waren es ja nicht so schlechte Voraussetzungen; das war der Teil in mir,
         der ‘berechnen‘ konnte.

            Doch da war ein anderer Teil, der ging viel tiefer. Dieser begann zu ha-
         dern; <Und dies sollte es dann schon gewesen sein mit meinem Leben?
         Das kannst DU doch nicht machen mit mir, nach all den vielen Kämpfen,
         in die DU mich geschickt hast, nach all den Situationen, in der ich wieder
         bei Null anfangen musste, dies soll hier so zu Ende gehen? Und wenn
         ich es dann irgendwann einmal akzeptieren muss, so lass es mich zum
         mindesten bewusst erleben, nicht benebelt von irgendwelchen Medika-
         menten oder Wahrscheinlichkeitsrechnungen. DU hast doch noch mehr
         vor als dies hier!>

            Es war schon dunkel geworden in der Dachmansarde, und wir hat-
         ten es nicht wahrgenommen. Zeit für einen Kaffee und eine feine Torte,
         die Anny selber meisterlich gebacken hatte. Ich wollte abwaschen helfen,
         doch sie lachte und sagte: <Es wird sich dann schon abwaschen, setz dich
         wieder, es gibt noch viel zu erzählen>.

            Und Anny fuhr fort: <Zu jener Zeit legte ich Karten, und die zeigten
         mir an, dass alles gut gehen würde - damals war ich noch so leichtsinnig,
         trotz dem, was vor mir lag, wie der Narr, der am Abgrund vorbeitanzt
         und  ihm  nur  nichts  geschieht,  weil  er  die  Gefahr  nicht  einmal  wahr-
         nimmt. Auf jeden Fall, nach einer Woche des Haderns ging ich zum Spe-
         zialisten und sagte: <Nun, machen wir die Operation! Sie machen Ihren
         Teil und ich den meinen; ich hoffe, Ihre Mitarbeiter sind auch mit ihrem
         Besten dabei, dann wird‘s schon gut gehen! Mein Körper hat mich schon
         so weit getragen, vielleicht hält er auch dies noch aus!>



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