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Fast jeden Tag kamen drei junge Burschen, immer zur gleichen Zeit
         und immer gemeinsam, sie sassen herum, tranken einen Kaffee, assen
         eine Suppe und schienen sich alles andere als wohl zu fühlen; und doch
         kamen sie jeden Tag. Es fiel mir auch auf, dass sie sich oft kratzten; und je
         länger sie kamen, desto mehr schienen sie wirklich Hilfe zu suchen. Doch
         sie getrauten sich nicht, jemanden anzusprechen, und die Sozialarbeite-
         rinnen waren mit anderen Dingen beschäftigt.

            Da setzte ich mich in einer freien Minute einmal zu ihnen und fragte
         sie: <Was ist mit euch los? Ich habe den Eindruck, dass ihr etwas loswer-
         den wollt.> Sie wurden rot, schauten einander an und dann im Raum
         herum, es war offensichtlich, dass sie nicht noch andere Ohren dabei
         haben wollten.

            Und so sagte ich ihnen: <Wenn um elf Uhr das Jugendcafé geschlos-
         sen wird, wartet eine halbe Stunde, und dann setzen wir uns zusammen
         und besprechen, was euch beschäftigt, einverstanden?> Sie nickten und
         gingen.

            Und ich dachte, nun, könnte sein, dass sie nicht wieder auftauchen.
         Doch um halb zwölf ging ich nach der Arbeit nochmals zurück und wirk-
         lich, sie standen da, alle drei. Ich öffnete nochmals und dann erzählten sie,
         worum es ging: Sie waren bei einer Prostituierten gewesen und hatten
         sich eine Krankheit aufgelesen, deshalb das Kratzen. Und alle drei waren
         bevormundet und ihnen drohte, wie vielen, die Verwahrung, wenn ihr
         Sündenregister im Laufe der Zeit einen gewissen Umfang erreichte. Da-
         vor hatten sie noch mehr Angst als vor der Krankheit.

            Da stand ich, mitten in der Arbeit. Wenn ich dies den Betreibern
         des Jugendcafés erzählt hätte, wäre eine solche Geschichte ein weiteres
         Argument gewesen, das Projekt abzubrechen. Wenn die Jugendlichen
         zum Arzt gingen, wäre ein Bericht an die Vormundschaft die direkte Fol-
         ge, ich kannte die meisten Amtsvormünder in der Zwischenzeit, und nur
         wenige hätten mit Verständnis eine Lösung suchen wollen.




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