Page 45 - Ebook-TragendeGrund
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Fast jeden Tag kamen drei junge Burschen, immer zur gleichen Zeit
und immer gemeinsam, sie sassen herum, tranken einen Kaffee, assen
eine Suppe und schienen sich alles andere als wohl zu fühlen; und doch
kamen sie jeden Tag. Es fiel mir auch auf, dass sie sich oft kratzten; und je
länger sie kamen, desto mehr schienen sie wirklich Hilfe zu suchen. Doch
sie getrauten sich nicht, jemanden anzusprechen, und die Sozialarbeite-
rinnen waren mit anderen Dingen beschäftigt.
Da setzte ich mich in einer freien Minute einmal zu ihnen und fragte
sie: <Was ist mit euch los? Ich habe den Eindruck, dass ihr etwas loswer-
den wollt.> Sie wurden rot, schauten einander an und dann im Raum
herum, es war offensichtlich, dass sie nicht noch andere Ohren dabei
haben wollten.
Und so sagte ich ihnen: <Wenn um elf Uhr das Jugendcafé geschlos-
sen wird, wartet eine halbe Stunde, und dann setzen wir uns zusammen
und besprechen, was euch beschäftigt, einverstanden?> Sie nickten und
gingen.
Und ich dachte, nun, könnte sein, dass sie nicht wieder auftauchen.
Doch um halb zwölf ging ich nach der Arbeit nochmals zurück und wirk-
lich, sie standen da, alle drei. Ich öffnete nochmals und dann erzählten sie,
worum es ging: Sie waren bei einer Prostituierten gewesen und hatten
sich eine Krankheit aufgelesen, deshalb das Kratzen. Und alle drei waren
bevormundet und ihnen drohte, wie vielen, die Verwahrung, wenn ihr
Sündenregister im Laufe der Zeit einen gewissen Umfang erreichte. Da-
vor hatten sie noch mehr Angst als vor der Krankheit.
Da stand ich, mitten in der Arbeit. Wenn ich dies den Betreibern
des Jugendcafés erzählt hätte, wäre eine solche Geschichte ein weiteres
Argument gewesen, das Projekt abzubrechen. Wenn die Jugendlichen
zum Arzt gingen, wäre ein Bericht an die Vormundschaft die direkte Fol-
ge, ich kannte die meisten Amtsvormünder in der Zwischenzeit, und nur
wenige hätten mit Verständnis eine Lösung suchen wollen.
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