Page 43 - Ebook-TragendeGrund
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hatten, war mit einem Mal wieder da, wie wenn ein Alptraum mich un-
vermittelt verlassen hätte.
Bevor ich zur Arbeit ging, traf ich dann einen älteren Herrn, den
Nachbarn vom Parterre, und er erzählte mir eine kuriose kleine Ge-
schichte: Er hatte den Müllmännern zugeschaut, und als sie gerade die
Säcke mit Schwung in den Wagen schmissen, fiel ein kleines Paket heraus
und blieb auf dem Trottoir liegen. Da ging er hinaus und schaute es ge-
nauer an; als er ihren Inhalt erkannte, kam ihm gleich der Gedanke, dass
es der älteren Dame in der Mansarde gehören müsse, und so legte er sie
mir wieder vor die Haustüre. So erklärte ich ihm, was mir geschehen war,
und er half mir dann, das Paket wirklich loszuwerden.
Kurz danach hörte ich das erste Mal von einem Sozialprojekt. Ich war
soweit wieder hergestellt, dass ich mir eine Tätigkeit zutraute, auch wenn
ich wusste, dass ich nicht mehr als Schneiderin arbeiten konnte. Ich wollte
meinen lieben Freunden nicht weiter auf der Tasche sitzen, ohne etwas
zum Lebensunterhalt beitragen zu können. Ich war ja zu jener Zeit völlig
mittellos, ohne Unterstützung; und zur Fürsorge wollte ich nicht gehen,
da waren wir drei uns einig. Die beiden arbeiteten einfach so, dass es für
drei reichte.
Ich bot den Trägern des Jugendcafés meine Dienste als Köchin an,
ich war ja einigermassen bewandert darin, und den Rest würde ich sicher
dazulernen. Da waren zwei Sozialarbeiterinnen, ein reformierter Pfarrer,
und es gab neben dem neuen Projekt auch eine Herberge für Randstän-
dige. Du weißt ja nun, was geplant war, und wir alle freuten uns auf die
neue Aufgabe.
Denkste! Die ersten Monate war es fast immer leer, trotz der Wer-
bung, die an allen Mittelschulen ausgehängt waren. Die Jugendlichen sa-
ssen an der ‘Riviera‘, ein paar Treppenstufen gleich beim See. Die Träger-
schaft hatte am Limmatquai eine Lokalität gemietet, es war ein idyllischer
Ort, mit Sicht auf den Fluss und den Lindenhof. Nur kam niemand, wir
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