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hatten, war mit einem Mal wieder da, wie wenn ein Alptraum mich un-
        vermittelt verlassen hätte.
           Bevor ich zur Arbeit ging, traf ich dann einen älteren Herrn, den
        Nachbarn vom Parterre, und er erzählte mir eine kuriose kleine Ge-
        schichte: Er hatte den Müllmännern zugeschaut, und als sie gerade die
        Säcke mit Schwung in den Wagen schmissen, fiel ein kleines Paket heraus
        und blieb auf dem Trottoir liegen. Da ging er hinaus und schaute es ge-
        nauer an; als er ihren Inhalt erkannte, kam ihm gleich der Gedanke, dass
        es der älteren Dame in der Mansarde gehören müsse, und so legte er sie
        mir wieder vor die Haustüre. So erklärte ich ihm, was mir geschehen war,
        und er half mir dann, das Paket wirklich loszuwerden.

                                     
           Kurz danach hörte ich das erste Mal von einem Sozialprojekt. Ich war
        soweit wieder hergestellt, dass ich mir eine Tätigkeit zutraute, auch wenn
        ich wusste, dass ich nicht mehr als Schneiderin arbeiten konnte. Ich wollte
        meinen lieben Freunden nicht weiter auf der Tasche sitzen, ohne etwas
        zum Lebensunterhalt beitragen zu können. Ich war ja zu jener Zeit völlig
        mittellos, ohne Unterstützung; und zur Fürsorge wollte ich nicht gehen,
        da waren wir drei uns einig. Die beiden arbeiteten einfach so, dass es für
        drei reichte.

           Ich bot den Trägern des Jugendcafés meine Dienste als Köchin an,
        ich war ja einigermassen bewandert darin, und den Rest würde ich sicher
        dazulernen. Da waren zwei Sozialarbeiterinnen, ein reformierter Pfarrer,
        und es gab neben dem neuen Projekt auch eine Herberge für Randstän-
        dige. Du weißt ja nun, was geplant war, und wir alle freuten uns auf die
        neue Aufgabe.

           Denkste! Die ersten Monate war es fast immer leer, trotz der Wer-
        bung, die an allen Mittelschulen ausgehängt waren. Die Jugendlichen sa-
        ssen an der ‘Riviera‘, ein paar Treppenstufen gleich beim See. Die Träger-
        schaft hatte am Limmatquai eine Lokalität gemietet, es war ein idyllischer
        Ort, mit Sicht auf den Fluss und den Lindenhof. Nur kam niemand, wir

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