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Mutter für all die Leute auf der Gasse…> und dort endeten die Gesprä-
        che über die Arbeit im Jugendcafé jeweils schon.

           Oft kam sie zurück von den Sitzungen, hilflos, mit einem Gefühl der
        Ohnmacht, ein paar Stunden lang; und in solchen Augenblicken machte
        sich ihre Osteoporose deutlich bemerkbar. Doch bald nahm sie sich zu-
        sammen; sobald sie die Arbeit wieder vor ihren Augen sah, die Gesprä-
        che und die Aufgabe, dann lachte sie bald über ihren eigenen Ärger und
        sagte: <Il faut de tout pour faire un monde>.

           Das ‘Zielpublikum‘ entsprach nicht mehr dem, wofür das Jugendca-
        fé ursprünglich konzipiert war; und dies war eine chronische Irritation,
        die niemand zu beheben in der Lage schien, deshalb die glasigen Augen
        im Leitenden Ausschuss.  Natürlich wurde diese Frage auch für mich zu
        einer Last auf dem Herzen, die mit der Zeit immer spürbarer wurde. Das
        ursprüngliche Konzept war, Jugendlichen, Gymnasiasten, Lehrlingen, die
        oft ihre Nachmittage ziemlich ziellos im Niederdorf verbrachten, an der
        ‘Riviera‘ sassen und mit den ersten Drogen in Kontakt kamen, einen Ort
        zu bieten, an dem sie sich aufhalten, ihre Aufgaben erledigen konnten
        und abends zuhause wären, in einem offenen, ‘betreuten‘ Rahmen. Dies
        war das Ziel gewesen, inhaltlich abgestützt und finanziert.

           Und dann war es anders gekommen,  das Jugendcafé war bald ein
        Spiegel von dem, was man so als ‘Gasse‘ bezeichnet. In den frühen 80er
        Jahren stand man den Entwicklungen ziemlich hilflos und etwas blauäu-
        gig gegenüber. Mit guter Überzeugungsarbeit hoffte man, die Jugend-
        lichen wieder auf die richtige Bahn zu leiten; und an diesem ursprüng-
        lichen Konzept versuchte sich der Leitende Ausschuss festzuhalten. Es
        war allen klar, dass die Realität anders aussah, doch niemand hatte sich
        inhaltlich mit der Veränderung befasst, alle waren einfach froh, dass Anny
        immer am ‘Puls des Geschehens‘ war, ohne genauer wissen zu wollen,
        was dieser ‘Puls‘ beinhaltete.

           Eines Tages kam sie wieder einmal zurück, ‘affig‘ und erschreckt, ganz
        offensichtlich. Als wir darüber etwas austauschten, begann sie zu weinen,


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