Page 23 - Ebook-TragendeGrund
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Und so war ich irgendwann richtig eingeschnappt, arbeitete zwar
weiter wie immer, doch schien sich eine dunkle Wolke zwischen uns ge-
schoben zu haben. Beim Aufräumen um elf sprach ich es dann an, wuss-
te nicht genau wie. Vor allem fürchtete ich mich davor, Anny wirklich zu
sagen, was mich ärgerte; ich wollte ihre Freundschaft nicht verlieren, so
druckste ich herum. Doch sie ermunterte mich: <Los, wenn etwas auf
der Leber hockt, sollte man es loswerden, egal, was es ist!>
Und in kurzer Zeit waren wir in einer heftigen Diskussion über Vor-
gehensweisen, Prinzipien, Überlegungen zur Arbeit, Einschätzung von
Menschen und ihren Fähigkeiten, und wir kamen vom Hundertsten ins
Tausendste, bis wir schliesslich um drei Uhr morgens erkannten, dass wir
stecken geblieben waren. Viele Worte waren gefallen, nicht alle waren
schön gewesen; und ich schämte mich sehr, dass wir zu keiner Einigung
gekommen waren - ich hatte das Gefühl, dass ich bereits nach drei Wo-
chen unsere Freundschaft mit dieser Diskussion aufs Spiel gesetzt hatte.
Nun, Anny verblüffte mich einmal mehr, zum Glück. Sie sagte: <Nun,
das war eine richtige Schlacht mit Worten. Das macht nichts, solange wir
nicht aus den Augen verlieren, dass wir um etwas kämpfen, das unse-
rer Arbeit zugute kommt. Ich danke dir, dass du so offen bist und genau
sagst, was du fühlst. Es ist zwar manchmal nicht angenehm, solche Dinge
zu hören, doch sind sie offensichtlich da, und wir sollten sie daher auch
ernst nehmen. Wir werden im Verlaufe der Zeit wohl immer wieder sol-
che Auseinandersetzungen haben, wir müssen auch dazulernen, immer
wieder. Lassen wir uns Zeit, das Thema wird wieder auftauchen, irgend-
wann, und wenn du einverstanden bist, werden wir es morgen einfach
beiseite lassen und für unsere Gäste da sein, kannst du das?>
Ich hätte ihr um den Hals fallen können vor Freude, dies war es, was
ich richtig aus ihren ersten Worten herausgehört hatte! Sicherheit in der
Freundschaft, die alles ertragen kann. Sie spürte, was in mir vorging und
sagte beiläufig: <Ja, wir müssen uns sekundär machen können>.
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