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friedlich, am zweiten kam fast niemand. Am dritten Abend waren plötz-
         lich ein paar düstere Gestalten da, die nicht so freundlich schienen; einige
         der Gäste schienen sich vor ihnen zu fürchten. Die Gestalten schauten
         kurz herein, sahen, dass Anny in ihrer Ecke bei der Theke sass und gingen
         dann wieder, ohne ein Wort.

            Am Samstag war es dann überfüllt, und wir hatten alle Hände voll zu
         tun. Ehrlich gesagt, ich hatte das Gefühl, ich sei völlig erschöpft. Nicht, dass
         mir die Arbeit keine Freude gemacht hätte; Gastgeber zu sein ist etwas,
         das mir sehr liegt. Doch waren all die Erlebnisse mit den Menschen, die
         kamen und gingen, fast nicht einzuordnen, viele waren ganz anders als
         jene, die ich bisher gekannt hatte; und so war in mir etwas immer auf der
         Hut, eine Art innere Wachsamkeit entwickelte sich langsam, parallel zu
         den äusseren Tätigkeiten, die schon bald zur Routine geworden waren.

            Ein paar der Gäste kamen regelmässig, jeden Abend waren sie da,
         meistens um die gleiche Zeit. Sie blieben auch, bis wir um elf Uhr die
         Türen schlossen, es schien, dass wir schon bald Freunde werden könnten,
         was ich mir natürlich sehr wünschte.

            Doch bald tauchte einer auf, der mein Bild von der idyllischen Ge-
         meinschaft schwer erschütterte; ein übler Bursche kam herein, angetrun-
         ken und voller Tiraden, gegen die ‘Schmier‘, gegen die ‘Sozis‘ (er meinte
         Sozialarbeiter), gegen die Christen, und hatte es in kurzer Zeit geschafft,
         dass sich keiner mehr wohl fühlte in seiner Haut. Er schien es zu genie-
         ssen und wollte einen Gratis-Kaffee, und natürlich stand ich wieder da
         und wusste nicht, wie reagieren.

            Doch da war Anny und sagte mit einer fröhlichen, lockeren Stimme:
         <Ach schau, unser alter Freund ist wieder da, mit dem Schwung des lau-
         ten Protestes, wie wir ihn seit Jahren kennen! Il faut de tout pour faire
         un monde! Hannes, gib ihm einen Gratiskaffee, zum Einstand, dass er
         wieder da ist! Aber es bleibt der einzige, gell?> Unser Gast war völlig
         überrascht und sagte: <Ach ja, die Anny, hallo, lange nicht gesehen, du
         bist noch etwas kleiner geworden, seit ich dich das letzte Mal gesehen


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