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Ihre Fähigkeit, Dinge aus der Sicht der anderen zu betrachten, hatte
        sich da schon sehr geformt, und so stellte sie sich den inneren Prozess des
        Pfarrers genau vor, als er ihnen erklärte: ‘Die Beichte ist da, um uns von
        der Last der Sünden zu befreien, das Auflösen von Urteilen, von Fehlern.
        So erinnert euch daran und legt sie vor den Beichtvater, so dass er sie
        euch vergeben kann.‘

           <Diese Aussicht war wunderbar, und ich setzte alle Hoffnung darin,
        mein Gefühl, das mich immer begleitet hatte ‘Es fühlt sich nicht richtig
        an‘, loszuwerden, so wollte ich den ganzen Verständnisprozess wirklich
        von Anfang bis Ende verstehen, ich war der Wahrheit auf der Spur, so
        hatte ich den sicheren Eindruck>. Es bewegt mich heute noch jedes Mal
        tief,  wenn  mir  ihre  funkelnde  Klarheit  aus  der  Erinnerung  entgegen-
        leuchtet.

           Der Pfarrer fuhr dann weiter, beschrieb den Ablauf des Beichtrituals
        und freute sich über die lebendige Aufmerksamkeit.  <Er sagte, dass wir
        ihm -  entsprechend den Tafeln des Moses, im Beichtspiegel genauer aus-
        formuliert - die Sünden aufzählen sollten; dann würde er uns die Busse
        auferlegen und uns von den Sünden freisprechen. Und wieder hörte es
        sich nicht richtig an, wie wenn der Segen, der in diesen ersten Worten
        lag, gebrochen und verdunkelt worden wäre!
           Darüber diskutierten meine Freundin und ich in der Pause intensiv,
        wir hockten uns in eine Hundehütte und gingen all die Aspekte durch,
        blieben immer an der einen Frage hängen: Wie kann ich das Mass einer
        Busse festlegen, ohne selber zu urteilen über die Sünden, die mir vorge-
        legt werden? Da blieben wir stecken, einfach stecken und wussten nicht
        weiter.


           Meine  Freundin  war  noch  vorwitziger  als  ich,  und  so  streckte  sie
        gleich ihren Finger in die Luft, als der Pfarrer aus der Pause wieder zu-
        rückkam>, erzählte Anny weiter. Als er die Tragweite der Frage erkann-
        te, fragte er sie: <Eine solche Frage kann ja nicht von dir kommen, wo
        liegt der Ursprung solcher Gedanken?> So etwas hatte meine Freundin


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