Page 99 - Ebook-TragendeGrund
P. 99
es schien irgendwie ein so natürlicher gesunder Schmerz, ganz anders als
das Leid zuvor, so dass ich am Abend bereits wusste: <Okay, das war der
Härtetest, es kann ja nur besser werden, was willst du noch mehr?>
So war es, bald fühlte ich mich mit meinem Los soweit versöhnt, dass
meine Gefühle wieder weiter zu reichen begannen als bis zu den Mau-
ern meiner eigenen Not. Dieser Mann, der solches geschrieben hatte,
liess mich nicht los; und ich hatte das sichere Gefühl, dass nach dieser
wunderbaren Zeit mit Anna Burger noch etwas reifen müsste in mei-
nem Innern. Anny war für mich wie eine ‘Mutter‘ im weiten Sinn eines
Vorbildes, reife weibliche Fähigkeiten eines Menschen, die ihre Aufgabe
im Leben kannte.
Dieser Hazrat Inayat Khan schien wie der ‘männliche Gegenpart‘
dazu, und ich wäre ans Ende der Welt gereist, um ihn kennenzulernen,
das war mir klar. Doch war er ja 1926 gestorben! Auf dem Umschlag des
Büchleins war er abgebildet mit seinem Musikinstrument, der Vina.
Da durchzuckte es mich eines Tages wie ein Blitz! In Spanien hatte
ich ja Flamencogitarre gelernt, zwei Jahre lang, keine einzige Note auf-
geschrieben, keinen Ton auf Kassette aufgenommen, wirklich nur so
gelernt, wie es Jahrhunderte alte Tradition war: Zuhören, nachspielen,
wieder hören, wieder nachspielen, Schritt für Schritt in den Fussstapfen
des Lehrers gehen, nicht nur die Bewegungen der Hände auf dem Inst-
rument imitieren, sondern auch seinem Denken, seinem Gefühl nach-
spüren, bis du wie er empfinden kannst.
Als ich langsam spürte, dass die Gitarre ‘zu sprechen begann‘, war
es so leicht, all diesen vielen Menschen, die die Tradition des Flamencos
durch alle Härten des Lebens, ihr ganzes Leben lang, lebendig gehalten
und bereichert hatten, nahe zu sein! Eine Familie, über Generationen hin-
weg, El Loco Mateo, Antonio Mairena, El Chocolate, Camarón de la Isla,
Paco de Lucía! Auch Hazrat Inayat Khan hatte so gelernt, da war ich mir
sicher! Eins und eins zusammengezählt ???
99