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nicht so wichtig, Anny hatte sich die Basis erarbeitet, mit unserem Gast
nach seiner Entlassung aus der Klinik zu helfen, über seine Enttäuschun-
gen und Verletzungen hinweg zu kommen.
Manchmal lachte sie auch und sagte: <Weißt du, wenn wir lange ge-
nug mit den Wänden reden, geben sie Antwort.> und amüsierte sich
dann über die Fragezeichen, die sich offensichtlich auf meiner Stirn ge-
bildet hatten. Wie hatte sie dies gelernt? Nicht selten träumte sie dann
auch, dass sich in der Klinik wirklich etwas verändert habe.
Ihr natürliches Wesen schien einfach so zu sein, es trug ihr von einem
unserer lieben, langjährigen Gäste den Kosenamen ‘Chrüüterhäxli‘ ein,
Kräuterhexlein, schöner könnte man die Zuneigung von Willi-Willi ihr
gegenüber nicht ausdrücken.
Anny ihrerseits hatte die Angewohnheiten der Jugendlichen über-
nommen und verfeinert. Wenn jemand ganz offensichtlich schwer an
seinem Schicksal trug, suchte sie für ihn oder sie einen Namen, der ihre
besten Eigenschaften versinnbildlichte, sie waren liebevoll, überraschend,
und warfen ein neues Licht auf diesen Menschen - Ängeli, Yoyo, Beetho-
ven. Willi-Willi hiess so, weil er einen Freund hatte, der auch Willy hiess,
und da sie viel zusammen waren, war halt der eine Willy und der andere
der Willi-Willi.
Die Jugendlichen verstanden sie sofort, intuitiv, Anny sagte ihnen
durch ihre liebevollen Namen: <Erinnere dich daran, dass deine Seele un-
verletzlich ist, mit allem und trotz allem was du erlebst, vergiss dies nie!
Der Reichtum liegt darin, dass du du bist, und dass ich dich kennenlernen
durfte. Und egal, ob dich die wichtigen Menschen überhaupt sehen oder
nicht, vergiss nicht, dass es dich nur einmal gibt!>
Dies war es, was eigentlich hinter den Namen stand; und einem, der
die Jugend eines Verdingbuben ertragen hatte, war ein solches Wort wie
ein Reinwaschen von allem Erlittenen. Es war so leicht, mit ihr umzuge-
hen! Sie war im Inneren ebenso klar und einfach wie im Äusseren; ’Les
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