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seiner Rolle im Berlin jener Zeit - er war Offizier in der deutschen Wehr-
        macht, wo genau und in welcher Funktion, erzählte Anny nie. So seltsam,
        würde man vermuten, wenn wir uns mit den Schweizer Klischees darü-
        ber begnügen würden, was wir alles nicht erlebt haben während jener
        Zeit. Es war da nichts Absurdes, Unverständliches, da war einfach nur
        Leben, wie es sich anfühlt, wenn man es lebt.

          Annys Zusammenleben mit der Familie in Deutschland war einfach
        von echter, tiefer Freundschaft geprägt, und sie erinnerte sich jeweils mit
        den gleichen leuchtenden Augen daran - funkelndes, erregendes Leben,
        eine Stadt, die so viel bot, Theater, Opern, ein reiches Gesellschaftsleben;
        Anny war einfach glücklich, entfaltete sich und machte eine Schneiderin-
        nenlehre, und ihre Gestaltungskraft brachte ihr bald einen besonderen
        Ruf, Freunde und Geld ein.

          <Doch  hörten  wir  nachts  auch  immer  die  Soldatenstiefel,  bumm,
        bumm, bumm…, wie sie durch die Strassen patrouillierten, wir sprachen
        kaum je darüber und versuchten einfach, damit zu leben und uns zu ar-
        rangieren.> Anny hatte ja schon gelernt, ‘rusée‘ zu sein. Und so beweg-
        te sie sich mit der ihr eigenen herzlichen Direktheit unter den braunen
        Hemden ebenso wie unter den Bohémiens Berlins, das Leben mischte
        sich einfach mit Leben, und ihr Erlebnishunger war unstillbar.

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