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Doch Anny hatte ihre Füsse auch fest auf dem Boden; wenn sie eines
        gelernt hatte, war es dies. So bat sie ihren Verehrer, bei aller Liebe und
        tiefer Zuneigung um etwas ganz Bestimmtes, sie sagte ihm: <Deine Liebe
        und dein Wunsch ehren mich, und ich könnte mir gut ein Leben hier mit
        dir und deinen Frauen vorstellen; aber du weißt ja auch, wie wankelmü-
        tig die Liebe sein kann; wie kann ich wissen, wie lange sie bei dir anhält?
        Ich lebe auch gerne heute, diesen Tag, wie er gerade ist, und dieser sagt
        natürlich ‘Ja‘ zu uns. Doch was wird in drei Jahren sein, in fünf Jahren?

           Gemäss euren Gesetzen kannst du ja nur dreimal sagen: <Ich scheide
        mich von dir>, und wo bleibe ich dann? So werde ich dir das Ja nicht ge-
        ben können; bei einer Scheidung würde ich allein dastehen und ganz neu
        beginnen müssen.‘ Ich kann mir ein Ja wirklich nur unter der Bedingung
        vorstellen, dass du mir einen Betrag auf ein Konto in der Schweiz über-
        weist, der mir die Möglichkeit gibt, ein neues Leben aufzubauen, wenn
        ich plötzlich allein dastehen sollte. Dies wäre ja für dich und deinen Vater
        überhaupt kein Problem.>

           Es war nicht die Bedingung einer geldgierigen Frau, dies erkannte
        ihr tunesischer Freund sehr wohl, sie sah einfach weiter als der verliebte
        Sohn des Scheichs. Bezeichnend für Anny war, dass sie auch nach solchen
        Entscheiden die Freundschaft mit den Menschen aufrecht erhielt, die ihr
        einmal etwas bedeutet hatten. Einmal kam der Tunesier in die Schweiz
        und besuchte sie, und wir gingen zusammen einen Kaffee trinken, ihre
        Vertrautheit und Freundschaft war bei beiden ungebrochen und mit
        den Jahren der Erfahrung reifer geworden.

           Viel mehr weiss ich nicht über Annys Leben vor unserer gemeinsa-
        men Zeit, nur dass sie es einmal wirklich wissen wollte, ob sie auch zur
        Ehefrau taugte, als sie schon in Zürich lebte. Sie war intensive, lebendige
        eineinhalb Jahre verheiratet, ihr Mann war stattlich, angesehen und hatte
        einen guten Beruf., eine richtig ‘gute Partie‘.


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