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Nun, Anny machte sich auf. So kurz nur hatte sie erleben dürfen, eine
         Familie zu haben, und wieder war es die gleiche Denkweise, die sie ver-
         trieb, auf der Grossskala, die uns ja so oft immer noch stumm macht.
         Sie konnte keine Dokumente bei der Behörde abholen, um sich auswei-
         sen zu können, und eine angekündigte Abreise hätte ja nur gerade die
         Nachforschungen beschleunigt, wegen denen sie ja floh. Und so machte
         sie sich auf, zu Fuss. Sie ging immer nachts, mied die Ortschaften und
         fand irgendwie die Unterstützung, die sie brauchte, um überhaupt zu
         überleben. (Ich bin gerade auf ‘Google-Earth‘ die Strecke nachgefahren:
         Berlin-Basel, 879 km, ca. 8 Stunden 6 Minuten).


            Sie sind so wunderschön, die weiten Landschaften Deutschlands, ich
         liebe sie sehr, voller Majestät, Weite und Erhabenheit. Sie gaben Anny
         sicher Trost und Schutz, nach mehreren Wochen des Wanderns kam sie
         an der Grenze in Basel an, abgezehrt, zerlumpt und genauso, wie jeden
         Tag Hunderte erschienen in jener Zeit.

            Das Gespräch mit dem Grenzwächter war ihr in Erinnerung geblie-
         ben: ‘Bonjour, ich komme aus Berlin, wo ich bisher gelebt habe, und nun
         möchte ich in die Schweiz zurück, ich bin Schweizerin‘. Der Grenzwäch-
         ter schaute sie an, schätzte sie ein und antwortete: <Das sagen sie alle,
         kehren Sie um und gehen Sie dahin zurück, wo Sie hergekommen sind!>
         Und Anny begann, um ihr Leben zu kämpfen; der Grenzwächter blieb
         bei seiner Haltung, auch dies war für ihn Routine, ebenso Routine, wie
         man sich ein Hemd anzieht. <Haben Sie denn Dokumente, die dies be-
         weisen würden?> Nein, natürlich hatte sie keine, ein weiterer Grund für
         den Grenzwächter, seine Überzeugung  untermauert zu sehen.
            Erst als Anny den genauen Ort nannte, den Namen ihres Vaters, des
         Polizeivorstandes im Ort und mehr, da begann er endlich, ihre Worte
         ernst zu nehmen, nicht aus Mitgefühl, sondern aus Furcht, dass ihm eine
         Dienstnachlässigkeit nachgewiesen werden könnte, wenn sich heraus-
         stellte, dass diese Frau vielleicht eine Person war mit Beziehungen in der
         Schweiz. Und ein Tintenklecks in seinem Reinheft ging ihn schon etwas
         an.


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