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Anny heiratete wohl so, wie sie damals die Zelle der Nonne im In-
        ternat besucht hatte, näher beim Ideal als bei den Wirklichkeiten; sie be-
        mühte sich mit all ihren wunderbaren Talenten, ihm eine gute Ehefrau zu
        sein und hoffte immer, dass sie und ihr Partner sich gegenseitig inspirie-
        ren würden, ergänzen, erfüllen. Die Nüchternheit kehrte bald ein, als sie
        sah, dass sich seine Vorstellungen von Ehe mit bereitgestellten Pantoffeln
        am Abend, einem pünktlichen Nachtessen und dem Komfort, den er
        von einer Ehefrau erwartete, bereits erschöpften.

           Nach einem Jahr sah sie ihre Idealvorstellungen schon deutlich im
        Morgennebel über dem Zürichsee entschwinden und machte noch ein
        paar verzweifelte Versuche, den ‘Wecker‘ zu einem gemeinsamen erfüll-
        ten Leben zu klingeln, liebevoll, witzig und starken symbolischen Gesten:
        Am Morgen verabschiedete sie ihren Mann, nach feinem Frühstück, so
        dass er frisch gestärkt zur Arbeit ging.

           Als er am Abend zurückkam, hatte Anny die ganze Wohnung umge-
        staltet; sie hatte kein Geld ausgegeben, lediglich die vorhandenen Möbel
        alle neu ausgerichtet. Sie hatte ihm einen Neuanfang ermöglichen wol-
        len, innerhalb der Ehe, einfach so, im Alltag drin. Doch fand er die Socken
        nicht mehr dort, wo sie am Tag zuvor noch waren! Wären ihm doch nur
        die Schuppen von den Augen gefallen, dachte ich mir damals, als sie mir
        die Geschichte erzählte, ich hätte ihn ohrfeigen können! Doch sie lachte
        herzlich, als sie meine Reaktion sah und liebt ihn heute noch, ihren Bränd-
        li, sicher!

           Als sie erkannte, dass lediglich eine gewisse Furcht in ihrem Manne
        aufkam über die Unberechenbarkeit seiner Ehefrau, schritt Anny zur
        Rettungstat, für sie beide: Sie hatte ihn gut kennengelernt und erkannte
        seine Bedürfnisse, seine Verletzlichkeit und seinen Wunsch. So machte
        sie sich gezielt auf die Suche für ihn, um ihm eine wirklich passende Ehe-
        frau aus ihrem grossen Bekanntenkreis zu finden.

           Sie bereitete diesmal die Zukunft für sie beide vor, wog seine Be-
        dürfnisse gegen ihre ab, mit all ihren Fähigkeiten und grosser Umsicht.


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