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eiN ort der sichereN Werte uNd eiNe prüfuNg

            Dies war der Beginn der eigentlichen Arbeit im Jugendcafé; es hatte
         all  die  vorbereitenden  Schritte  gebraucht,  die  Trägerschaft,  die  Mitar-
         beiter, die ersten Erfahrungen, die offensichtliche Diskrepanz der Sicht-
         weisen. All dies waren Bausteine, Elemente dazu, dass sich das ergeben
         konnte, was dann Sinn zu machen begann.

            Die ‘Mühlsteine‘ wurden für alle wahrnehmbar - der eine ist das ‘ge-
         festigte institutionelle Wissen‘, das für einen Menschen auf der Gasse
         wie ein unüberwindbares Hindernis dastehen kann, ein Mechanismus,
         der ihn oder sie immer und immer wieder vor die Situation stellt, dass
         andere,  gesündere,  erfolgreichere,  erfahrenere,  gewieftere  Menschen
         besser  wissen, was er oder  sie braucht.  Der andere  ist das Erkennen
         <Ich bin anders als die anderen, funktioniere irgendwie nicht richtig, ich
         scheine mir selber immer wieder den Boden unter den Füssen wegzu-
         nehmen; ich wäre gern anders, aber die anderen lassen mich nicht so
         werden, wie ich sein möchte, ich weiss selber nicht, wie ich sein möchte,
         nur spüre ich, dass da etwas wäre.>

            Die Not solcher Diskrepanz ist nur auf eine Weise zu lindern, und
         dem hatte Anny ihr Leben nun gewidmet. Die Institution ‘Jugendcafé‘
         hat nur dann eine Lebensberechtigung, wenn es die Jugendlichen auf
         der Gasse als ‘Ort der sicheren Werte‘ gern haben und es mit beschüt-
         zen helfen. Es war notwendig, eine Bewusstwerdung im Herzen der Alt-
         stadt, die dem individuellen und dem gemeinschaftlichen Leben einen
         Sinn gab, dies hatte sich für Anny so klar herauskristallisiert, dass sie un-
         verhofft in die Situation kam, die Sitzung als Vermittlerin zwischen den
         Fronten zu leiten.

            Das Konzept auf dem Papier und die finanzierte Institution auf der
         einen Seite, die Jugendlichen auf der anderen, ohne Konzept und meis-
         tens ohne oder mit sehr wenig Geld. Es war eine meisterliche Arbeit, die
         Anny da tat. Sie bat die Trägerschaft,  einfach zuzuhören, mit offenem
         Herz und offenen Ohren; es war Zeit, die Ziele, wie sie auf dem Papier


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