Page 87 - Ebook-TragendeGrund
P. 87
Für die alltägliche Not der Sprachlosigkeit, der unmittelbar aufwal-
lenden Verzweiflung vieler im Alltag hatte sich im Jugendcafé ein Gefäss
gebildet, das das ‘Instant-Bedürfnis nach Zuwendung‘ befriedigen konn-
te (entschuldigt bitte diesen Vergleich, ich möchte einen Zusammen-
hang beschreiben).
Doch dahinter war eine längerfristige Unterstützung nötig. Wenn
nach einem langen Klinikaufenthalt ein Jugendlicher sich das erste Mal in
seinem Leben einen Ansatz von selbständigem Leben erarbeiten möch-
te, so sollte dies in einem Rahmen der Würde und Respekt geschehen,
wie es selten der Fall war.
Wenn Anny eine solche Bitte an den Leitenden Ausschuss brachte,
war sie mit zwei kurzen Sätzen erledigt, so dass das nächste Traktandum
auf der Agenda genügend Raum haben würde, zum Beispiel die Um-
schichtung der verschiedenen Besitztümer in Liegenschaften, so dass die
Rentabilität in den nächsten zehn Jahren optimiert werden könnte; ein
Lieblingsthema, wie Anny manchmal resigniert kommentierte.
Und so hatte die Vorsehung ihr andere Geldquellen geöffnet, da war
ein ungenannt bleiben wollender Bankdirektor, dessen Sohn am Ende
seiner ‘Antikarriere‘, wie die Jugendlichen ihren eigenen Weg manchmal
etwas sarkastisch selber bezeichneten, angelangt war. Nach drei Selbst-
mordversuchen konnte der Jugendliche Anny seine eigentliche Not
beschreiben; wenn doch nur sein Vater endlich wieder mit ihm reden
würde, wenn er doch nur, selbst wenn es geheuchelt wäre, sagen könnte:
<Ich habe dich gern, ich habe mich so gefreut, als du damals zur Welt
kamst!>
Dieses Gespräch hatte Anny vermittelt, und der Bankdirektor ver-
sprach ihr: <Sehen Sie, ich habe mit meinen Verpflichtungen und mei-
nem Leben all diese Möglichkeiten nicht mehr, meinem Sohn wirklich
das geben zu können, was er gebraucht hätte, was er nun brauchen wür-
de. Ich werde irgendwie damit leben lernen müssen, dass dies nicht mehr
sein wird. Doch wann immer Sie wieder einmal in eine solche Situation
87