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Für die alltägliche Not der Sprachlosigkeit, der unmittelbar aufwal-
        lenden Verzweiflung vieler im Alltag hatte sich im Jugendcafé ein Gefäss
        gebildet, das das ‘Instant-Bedürfnis nach Zuwendung‘ befriedigen konn-
        te (entschuldigt bitte diesen Vergleich, ich möchte einen Zusammen-
        hang beschreiben).

           Doch dahinter war eine längerfristige Unterstützung nötig. Wenn
        nach einem langen Klinikaufenthalt ein Jugendlicher sich das erste Mal in
        seinem Leben einen Ansatz von selbständigem Leben erarbeiten möch-
        te, so sollte dies in einem Rahmen der Würde und Respekt geschehen,
        wie es selten der Fall war.

           Wenn Anny eine solche Bitte an den Leitenden Ausschuss brachte,
        war sie mit zwei kurzen Sätzen erledigt, so dass das nächste Traktandum
        auf der Agenda genügend Raum haben würde, zum Beispiel die Um-
        schichtung der verschiedenen Besitztümer in Liegenschaften, so dass die
        Rentabilität in den nächsten zehn Jahren optimiert werden könnte; ein
        Lieblingsthema, wie Anny manchmal resigniert kommentierte.

           Und so hatte die Vorsehung ihr andere Geldquellen geöffnet, da war
        ein ungenannt bleiben wollender Bankdirektor, dessen Sohn am Ende
        seiner ‘Antikarriere‘, wie die Jugendlichen ihren eigenen Weg manchmal
        etwas sarkastisch selber bezeichneten, angelangt war. Nach drei Selbst-
        mordversuchen  konnte  der  Jugendliche  Anny  seine  eigentliche  Not
        beschreiben; wenn doch nur sein Vater endlich wieder mit ihm reden
        würde, wenn er doch nur, selbst wenn es geheuchelt wäre, sagen könnte:
        <Ich habe dich gern, ich habe mich so gefreut, als du damals zur Welt
        kamst!>

           Dieses Gespräch hatte Anny vermittelt, und der Bankdirektor ver-
        sprach ihr: <Sehen Sie, ich habe mit meinen Verpflichtungen und mei-
        nem Leben all diese Möglichkeiten nicht mehr, meinem Sohn wirklich
        das geben zu können, was er gebraucht hätte, was er nun brauchen wür-
        de. Ich werde irgendwie damit leben lernen müssen, dass dies nicht mehr
        sein wird. Doch wann immer Sie wieder einmal in eine solche Situation


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