Page 92 - Ebook-TragendeGrund
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Doch die Frage hielt mich immer wieder auf Trab: <Soll mir doch ei-
ner erklären, was da in mir drin nicht aufzugehen scheint!> Hatte ich da
wirklich etwas nie erkannt, das Zentrum von Annys Sicherheit? Ergeben-
heit? Dies war das einzige, was mir da in den Sinn kam, wenn ich Anny
sah, ihre Trauer und ihre Sicherheit.
Wie funktioniert Ergebenheit, wenn man weiss, dass man noch so
viel zu tun hat, bis man vielleicht eines Tages erreichen könnte, was als
Wunsch im Innersten brennt? Unglaublich, schon drei Wochen war ich
damit unterwegs, bewegte es mit all dem, was ich gelernt hatte, in mei-
nem Herzen, rührte herum und hoffte, der Löffel würde etwas zutage
befördern… wie die Buchstabensuppe der Kinder, mit unseren Namen
auf dem Tellerrand …
Eines Tages zog es mich in einen kleinen Bücherladen am Hirschen-
platz; ich schmökerte herum, etwas beschämt, dachte, dass mir jeder von
weitem auf der Stirne ablesen könne, dass ich nach einer Erklärung such-
te! In einem Regal sah ich dann ein kleines gelbes Büchlein: ‘Vom Glück
der Harmonie‘, drehte es um und las den Text auf der Rückseite: ‘Hazrat
Inayat Khan, (1882-1927) Meister der Vina mit ihrem einfachen, doch auf
mehreren Ebenen schwingenden Klang. Wie seine Vina versuchte er, die
Menschen zu ‘stimmen‘, denn <Wenn die Seele auf Gott gestimmt ist,
wird ihr jedes Tun zur Musik>‘.
Dieser Satz bewegte mein Innerstes mit ungeahnter Wucht! Wie
wenn ich wirklich vier Jahre mit Anny zusammengearbeitet und doch
ihre tiefste Fähigkeit irgendwie nicht wahrgenommen hätte? Genau dies
war es, was sie tat, und wer hatte dies in Worte gefasst, genau dies! Haz-
rat Inayat Khan! Lebte er wohl noch, wo war er? Er wäre die Lösung für
das Problem im Jugendcafé! Erkenntnisse, unmittelbare Einsichten, ohne
dass ich etwas getan hätte dazu, durch diesen einen Satz einfach an die
Oberfläche gespült. Und da lagen sie nun vor mir!
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